Im Umkreis von 300 Metern ist alles geräumt und abgesichert. Es ist unnatürlich still, die Zeit scheint wie eingefroren. Sekunden später löst Gerhard Meyer per Funk die Sprengung aus. Kurz darauf erfolgt ein dumpfer Knall, Staubfontänen schießen meterhoch in die Luft, man hört das laute Grollen von rutschenden Steinmassen. Dann ist alles ruhig. Die Staubwolke hat sich verzogen. Zurück bleiben rund 47.000 Tonnen loses Gestein. Eine der größten Sprengungen im Steinbruch Wiesenhofen ist Geschichte.
Drei Tage Vorbereitung für knapp zwei Sekunden Detonation liegen hinter Gerhard Meyer und Franz Wild. Die erfahrenen Sprengmeister begutachten ihr Werk. Sie zeigen sich zufrieden und geben das gesichtete Material zur weiteren Verwendung frei. Wenige Minuten später rückt schon der erste Bagger an und beginnt mit der Beschickung des neuen raupenmobilen Vorbrechers. Dort wird das Gestein zuerst vorgebrochen, also weiter zerkleinert, und anschließend in der Aufbereitungsanlage zu Mineralbeton, Schotter, Splitt und Brechsand verarbeitet – wertvolle Rohstoffe für den Straßenbau oder die Produktion von Betonfertigteilen. Zwei bis drei Wochen wird das Material reichen, dann muss wieder gesprengt werden. Im Sommer mehr, im Winter weniger.
Digitale Wandvermessung in 3D
Vorbei sind die Zeiten des Schwarzpulvers. Heute vertrauen Sprengmeister auf neueste Technik – auch Gerhard Meyer und Franz Wild. Exakte Vorbereitung ist oberstes Gebot, damit Sprengungen immer effizienter und sicherer und Steinflüge vermieden werden. Hierzu setzen die Männer im Schotterwerk Wiesenhofen erstmals modernste 3D-Vermessung ein. Mit einem Laser scannt Gerhard Meyer rasterförmig den festgelegten Wandabschnitt mit knapp 30 Metern Höhe, 96 Metern Länge und 6,3 Metern Vorgabe (Tiefe). So erhält er ein detailgetreues dreidimensionales Bild der Wandoberfläche. In die Gesteinsschichten selbst kann er damit nicht blicken. Mögliche Einschlüsse oder Lehmschichten, welche die Sprengung negativ beeinflussen können, bleiben somit verborgen. Es ist wie im Tunnelbau: Vor der Hacke ist es düster. Man weiß nie, was einen genau erwartet.
16 Bohrlöcher in zwei Tagen
Nach Vorgaben des Scans erstellt Gerhard Meyer am Computer mit einer speziellen Software den Bohrplan. Für die Sprengung legt er die Anzahl und Abstände der Bohrlöcher, deren Durchmesser und den Winkel fest, mit dem sie in den Fels gebohrt werden. In diesem Fall heißt das: 16 Bohrlöcher mit je 115 Millimetern Durchmesser und sechs Metern Abstand. Mit einem Ausdruck des Bohrrasters macht sich Franz Wild an die Arbeit und treibt mit dem Bohrgerät bis zu 30 Meter tiefe Löcher in die Felswand. Gebohrt wird in einem Winkel von 75 Grad. Zwei Tage dauern die Bohrarbeiten bei sommerlichen Temperaturen, pro Bohrloch rund 45 Minuten Bohrzeit. Ein Protokoll gibt Auskunft, ob beim Bohren Hohlräume angetroffen wurden oder andere Probleme aufgetreten sind.
Zeitversetzte Sprengung im Millisekundenbereich
Währenddessen sitzt Gerhard Meyer wieder am Computer und fertigt auf Grundlage der Vermessungsdaten den Sprengplan an. Dieser gibt Überblick darüber, wie viel Sprengstoff in die einzelnen Bohrlöcher verfüllt werden muss und mit welcher zeitlichen Verzögerung gezündet wird. Ziel ist es, dass sich das Gestein bei der Sprengung nacheinander löst und die Felswand aufgrund der Schwerkraft in sich zusammenstürzt. Würden alle Bohrlöcher zur selben Zeit gezündet werden, wären die Erschütterungen, die Staubentwicklung und der entstehende Lärm zu stark und die Gefahr durch unkontrollierten Steinflug zu groß. Das zeitversetzte Zünden der einzelnen Sprengladungen ist jedoch für das menschliche Auge und Ohr kaum sichtbar bzw. hörbar. Das Ganze spielt sich innerhalb von Millisekunden ab.
Drei Schichten Sprengstoff
Sind die Bohrlöcher fertiggestellt, prüft Franz Wild, ob sie für das Einfüllen des Sprengstoffs offen sind. Er misst auch nochmals Tiefe und Neigung mit dem Handgefällemesser, einer Lotabsenkung mit Lichtquelle. Über das Wochenende hat es zudem geregnet. Eine wichtige Rolle spielt deshalb der Wasserstand in den Bohrlöchern. Frühmorgens am Sprengtag setzen die Sprengmeister als Erstes im feuchten Bereich aller Bohrlöcher rund eine Tonne patronierten Sprengstoff ein, 60 Zentimeter lange Patronen mit 80 Millimetern Durchmesser. Darauf werden knapp drei Tonnen Emulsionssprengstoff mit einem Schlauch eingepumpt. Die Emulsion verdrängt das Wasser in den Bohrlöchern und füllt diese komplett aus. Die Komponenten werden von einem Mischladefahrzeug angeliefert und aus Sicherheitsgründen erst vor Ort gemischt. Im oberen Bereich werden die Bohrlöcher, wo es trocken ist, mit rund 2,8 Tonnen pulverförmigem ANFO-Sprengstoff aufgefüllt und mit entsprechendem Endbesatzmaterial verschlossen.
Routiniert, ohne in Routine zu verfallen
Gesprengt wird in Wiesenhofen per Funk mit einer redundanten Zündung. Pro Bohrloch erfolgen somit zwei Zündungen. Für die Fußladung in bis zu 30 Metern Tiefe, die zuerst gezündet wird, kommt deshalb ein Sprengstoff mit hoher Energie zum Einsatz. Er soll dafür sorgen, dass das Felsgestein nach vorne gedrückt wird. Für die Oberladung, die 25 Millisekunden später zur Zündung gebracht wird, ist weniger Energie erforderlich. Zuvor versehen beide Sprengmeister die unteren und oberen Schlagpatronen in den Bohrlöchern mit Zündern und sprengstoffbedampften Zündschläuchen. Die einzelnen Bohrlöcher verbinden sie dann mit 16 Zündverzögerern, an die sich der Startzünder anschließt. Jeder Handgriff sitzt, die Männer sind perfekt aufeinander eingespielt und wissen genau, was zu tun ist. Sie sind routiniert, ohne jedoch in Routine zu verfallen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Es erfolgt ein letzter Check, bei dem Gerhard Meyer eine visuelle Prüfung der Zündanlage vornimmt. Alles läuft perfekt, der Zündkreis ist intakt. Zeit, den Sprengort zu verlassen. Per Walkie-Talkie und Handzeichen sorgt er dafür, dass der Sicherheitsbereich in bis zu 300 Metern Entfernung geräumt ist. Minuten später bläst Franz Wild mit seiner Warntute zum Schlussakt. Gerhard Meyer drückt den Knopf der Funkfernzündung. Der Rest ist Geschichte … und ein willkommenes Fressen für die neue Brecheranlage, deren gieriger Schlund gefüttert werden will.